Die Altstadt - Pandora und Ava

Mit langsamen, gewählten Schritten, durchquerte ich die Altstadt.
Ich hatte ursprünglich nur ein paar Sachen kaufen wollen, aber vollkommen unerwartet hatte mich der Drang nach Kaffee und Kuchen erwischt. Also hatte ich mich an einen Tisch gesetzt und mir beides bestellt. So saß ich hier nun, einen Zeichenblock neben mir sowie einen Bleistift in der Hand, und zeichnete eine meiner Vorraussagungen, welche ich vor wenigen Sekunden gehabt hatte und wartete zeitgleich auf mein essen.
Es wäre durchaus von Vorteil gewesen, meine Fähigkeit besser kontrollieren zu können, aber daran ließ sich jetzt auch nichts mehr ändern. Immerhin lief es jetzt besser als damals.
Ich achtete nicht auf den Zeichenblock, ich ließ meine Hand automatisch auf Papier bringen, was ich sah. Regungslos starrte ich mit abwesendem Blick auf diejenigen, welche an meinem Tisch vorbeigingen. Jedoch achtete ich nicht auf ihre Gesichter oder etwa ihre Kleidung. Ich orientierte mich an den Geräuschen und Gerüchen, während ich zeitgleich an dem Bild festhielt welches ich vor meinem geistigen Auge hatte.
Das war mein Leben, mein Alltag, meine Last - Das war das, was mich definierte.

Pandora Moon, eine junge Lehrerin der Akademie in Heidelberg, betrat das kleine Café in der Altstadt. Wenn sie nicht grade in der Akademie war, lebte sie hier. Nachdem sie sich kurz umgeschaut hatte, beschloss sie sich zu einem bekannten Gesicht zu setzen. Eigentlich war sie ja nicht grade auf Gesellschaft aus, vereinsamen wollte sie allerdings auch nicht.
"Guten Tag, Ava.", begrüßte sie ihre Kollegin, welche jedoch mal wieder in eine ihrer Visionen vertieft zu sein schien. Ohne zu fragen ließ sie sich an ihrem Tisch nieder und bestellte einen Tee. Wieder ließ sie den Blick durch den Innenraum schweifen. Wie immer war es gut besucht.
Wie sie all die Menschen doch verabscheute...

Ich war beinahe fertig mit dem Bild, als jemand den ich zu kennen schien sich zu mir setzte. Verwirrt sah ich die Person an und musste sie erst einmal zuordnen. Bekannt? Ja. Sie war eine Kollegin. Noch etwas? Vielleicht. Ich hatte irgendwie im Kopf, mit ihr eine Art von Freundschaft zu pflegen, aber das wusste ich nicht genau. Es war mehr ein Bauchgefühl. "Guten Tag...", sagte ich mit leiser, dünner Stimme. Wie hieß sie noch einmal? "Pandora?", fragte ich nach ihrem Namen. Ich hatte weiterhin nicht meinen leeren Blick von der Straße genommen, bis ich mit dem Bild fertig war. Ich betrachtete die Bleistiftzeichnung. Es war der Kellner, der drei Tische weiter stand, und mir und anscheinend auch Pandora - dies vermutete ich, da man ihr Gesicht nicht recht erkennen konnte, sie aber mit mir am Tisch saß - gerade den Kaffee, den Kuchen und den Tee servierte. Aber man konnte sehen, dass der Kellner den Kaffee fallen ließ. Ein mürrisches Geräusch entfleuchte sich meiner Kehle. Missmutig knüllte ich den Zettel zusammen und fixierte meinen Blick nun. Ich sah mir die Umgebung an. Das Café war auch einmal gut besucht. Als ich es betreten hatte, saßen hier nur ein paar andere Gäste... Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber das war mir auch irgendwie egal gewesen. Wie stand mein Verhältnis noch einmal zu dieser Frau? Gut, schlecht? Wie gut kannte mich diese Frau? "Der Tee ist kalt", meinte ich. Ich wusste nicht, ob sie verstand was ich sagte oder nicht. Ich meinte jedoch, dass der Tee kalt serviert werden würde.
Jetzt wusste ich wer neben mir saß! Pandora Moon. Ebenfalls Lehrerin an der Akademie!

Pandora nickte, als sie nach ihrem Namen fragte. "Ava Wilson, nicht wahr?", fragte sie. Natürlich wusste sie genau, wie die Lehrerin hieß. Die Meerjungfrau wusste über jeden auf der Akademie bescheid. Sie war eine gute Beobachterin und musste schließlich wissen, mit wem sie es zutun hatte.
"Oh, dann werde ich wohl einen Neuen bestellen müssen.", entgegnete sie und ein freundliches, jedoch durch und durch falsches, Lächeln zierte ihre vollen Lippen.
Natürlich, Professor Wilson war eine Seherin. Auch wenn Panda selbst nichts von dieser angeblichen Kunst oder auch Gabe hielt.

Mein Blick wurde wieder lose. Ich konzentrierte mich auf Nichts. Ich sah einfach nur in eine Richtung. Meine Aufmerksamkeit richtete ich auf die restlichen meiner Sinne.
Konversation bei Tisch nannte man diesen mehr als kurzen Dialog. Als sie nach meinem Namen fragte, nickte ich. Der Kellner kam und servierte Kuchen, Kaffee und Tee. Ich achtete weder auf den Kellner, noch auf das servierte. Ich achtete ja nicht einmal auf mich selbst! Wie im Wachkoma saß ich hier und dachte über man Dasein nach. Das neben mir eine Kollegin saß, ließ ich außer Betracht.
Ich hatte nie wirklich Lust auf eine richtige Freundschaft gelegt. Dazu war ich mir selbst einfach viel zu sehr im Weg. Aber ich verschmähte nicht die Möglichkeit, zu jemandem gehen zu können. Ich nahm mir den Teller mit Kuchen, aß ein Stück und legte die Gabel weg. "Bist du Freund, oder können wir uns nicht leiden?" Die Antwort für sich war mir nicht sehr wichtig, aber je nach Ausfall dieser würde ich mich umsetzen oder nicht.

Pandora, deren Tee wirklich kalt war, stritt sich kurz mit der Bedienung und verlangte eine neue Tasse. Auf Avas Frage hin runzelte sie die Stirn. Sie wusste ja schon, dass die Lehrerin eine recht... Ungewöhnliche Zeitgenossin war, doch das fand sie wirklich merkwürdig.
"Freund, denke ich?", antwortete sie und trank einen Schluck von dem, mittlerweile heißen, Tee. Sie strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht - ihre Haare trug sie Heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden - und musterte ihre Kollegin.