Kleine Baumgruppe

Dustin blickte etwas genervt auf und sah den Jungen skeptisch an. Schon wieder eine Frage. Fragen über Fragen. Warum war er nur so erpicht darauf, so viel über Dustin zu erfahren? Hatte Azrael ihn geschickt? Unwahrscheinlich. Azrael würde keinen Menschen schicken, um ihn auszuhorchen. Das war nicht sein Stil. "Leute, die dumme Fragen stellen, mit meinem Taschenmesser abstechen." antwortete Dustin, setzte danach aber ein freundliches Lächeln auf, um die Worte nicht zu hart klingen zu lassen. Innerlich ohrfeigte er sich dafür. Wen interessierte es schon, ob die Worte zu hart klangen?

"Tut mir leid, ich wollte dich nicht mit meinen Fragen nerven..." Innerlich wütend auf mich selbst fuhr ich mir durch meine Haare und biss mir mit leicht betroffenem Blick auf die Unterlippe. Das hatte ich mal wieder super hinbekommen. Ich sollte wohl öfter meine Klappe halten oder wenigst dafür sorgen, dass nicht so viele Fragen aus meinem Mund kommen, Interesse an der Person hin oder her. Ich sollte gewiss mehr nachdenken.

"Schon in Ordnung." entgegnete Dustin tonlos, ohne von seiner Schnitzerei aufzusehen. "Ich steh einfach nicht so drauf, wenn mich jemand mit Fragen löchert." meinte er schulterzuckend und sah auf sein Taschenmesser. Es war mit der Zeit recht stumpf geworden und würde bald geschärft werden müssen. Die Blutung an seinem Daumen schien nachzulassen. Etwas geistesabwesend fixierte Dustin das Messer.

"Verstehe", entgegnete ich und sah, wie Dustin fixiert auf sein Messer blickte. Bei genauem Hinsehen bemerkte ich, dass sein Daumen geblutet hatte. "Mensch, du blutest ja!" Ich ließ die Zähne der Eiskobra langsam schmelzen und nutzte die Tropfen, um das Blut wegzuwischen. Danach kühlte ich den Schnitt, bis die Blutung entgültig nachließ. "Jetzt müsste es besser sein", gab ich nur leise von mir und lächelte ihn an.

"Danke" meinte Dustin etwas skeptisch und beobachtete, was Noah tat, lies ihn aber machen, auch wenn alles in ihm danach schreite, die Hand zurückzuziehen und Noah zu schlagen. Dustin war nie bemuttert worden. Niemand hatte sich um ihn gekümmert oder seine Wunden versorgt. Er hatte gelernt, dass man sich um solche Dinge selbst kümmern musste. Damit musste er allein fertig werden. Das war die letzten 90 Jahre so gewesen und es wird sich auch niemals ändern.
"Es kommt schon mal vor, dass man sich beim Schnitzen verlässt." meinte er dann schulterzuckend, um das Ganze noch einmal zusätzlich unbewusst herunterzuspielen.

"Dafür brauchst du mir nicht danken", antwortete ich mit einem Lächeln. "Selbst bei so kleinen Wunden sollte man handeln. Auch diese können sich entzünden, wenn dort etwas hineingelangen sollte. Es wäre äußerst traurig, wenn du dir deswegen wer-weiß-was zuziehen würdest."
Ich setzte mich etwas zurück, zwinkerte etwas frech und war dann damit beschäftigt, meine Eiskobraskulptur schmelzen zu lassen. Das Wasser nutzte ich für ein kleines Farbenspiel mit Hilfe der Sonne und sah den verschiedenen Farben nach. Ich war irgendwie einfach glücklich und das konnte man mir wohl ansehen.

"Da hast du recht." meinte Dustin monoton und rollte innerlich mit den Augen. Er war ein Vampir. Zumindest zu Hälfte. seine Wunden entzündteten sich nicht. Dustin fühlte sich etwas umwohl. Diese Sorge, die Noah sich um ihn machte. Was sollte das? Hatte er nicht andere Probleme? Niemand hat sich  je Sorgen um Dustin gemacht, geschweige den um ihn gekümmert. Sowas kannte er nicht.

"Was schaust du denn so bedröppelt?", fragte ich während ich mit dem Farbenspiel weitermachte. Ich nahm ein Teil des farbig leuchtenden Wassers und spritzte es ihm ins Gesicht. "Es ist so ein schöner Tag, da darfst du auch mal lächeln." Frech streckte ich ihm meine Zunge entgegen und sah ihn mit funkelnden Augen und einem Zwinkern an. Er wirkte immer so ernst. Er sollte auch etwas Spaß haben, sich entspannen. Den Rest des Wassers verteilte ich liebevoll über der Wiese, während mein Blick bei ihm verharrte.

Dustin sprang erschrocken auf und wischte sich schnell das Wasser aus dem Gesicht. "Hast du sie noch alle?" prustete er und sah Noah wütend an. "Ich hätte.. ich könnte.. " doch ihm fiel nichts gefährliches ein, dass das Wasser hätte anrichten können. "Machst du das immer so?" fragte er schließlich noch immer stocksauer und wischte sich erneut durchs Gesicht.

Kurz lachte ich auf. "Tut mir leid, aber ich dachte, du könntest eine Abkühlung gebrauchen." Ich zauberte ihm ein Handtuch her und hielt es ihm hin. "Hier", entgegnete ich dann, "Ach, nur bei Menschen, bei denen ich denke, dass sie etwas Ablenkung verdient haben. Du wirktest so angespannt, da dachte ich, dass etwas Wasser genau das Richtige wäre." Noch etwas grinsend sah ich ihn an. "Komm schon, sei mir doch nicht böse."

Dustin nahm das Handtuch und wischte sich damit durchs Gesicht und über den Kopf. "Wenn du das nochmal machst, dann werde dir eine Abkühlung verpassen. Und glaub mir, die hält ewig." drohte er und ließ das Handtuch im Anschluss verschwinden. Dann setzte er sich wieder an den Baum. Was dachte sich dieser Junge bloß. Einfach hierherzukommen und wildfremde Leute nass zu spritzen. Wer tat denn sowas?

"Das war doch wirklich nicht böse gemeint. Tut mir wirklich leid..." Zu meinem Pech nahm er es doch nicht mit Humor. 'Mission failed' würde man wohl sagen. Dann musste ich mir wohl etwas Anderes einfallen lassen. Es war aber gar nicht so einfach. Weitervergraueln wollte ich ihn gewiss nicht. Etwas enttäuscht sah ich drein, überlegend, was ich nun tun sollte.

"Wenn sowas nochmal machst, wird es dir noch viel mehr Leid tun." unterstrich Dustin seine Drohung erneut und sah zu Noah auf. Er wurde aus diesem Jungen einfach nicht schlau. Er hatte es nur gut gemeint. Aber warum? Was interessierte es ihn denn, wie es Dustin ging?
Um sich abzulenken griff Dustin sich einen Ast und begann wieder mit der Schnitzerei. Man konnte schließlich nie genug Pfeile haben.

"Och Dustin, komm schon... Wirklich so schlimm, dass ich dich etwas ablenken wollte?" Sanft stupste ich ihn von der Seite an und sah ihn mit großen Augen an. Muss wohl ein Talent sein, Menschen zu vergraueln. Dennoch wollte ich nicht aufgeben, gerade dann nicht, wenn ich dummerweise das Gegenteil erwirtschaftet hatte.
"Kannst du eigentlich auch Figuren aus Holz schnitzen? Also, einfach so? Spontan?"

"Wenn du mich ablenken willst, dann lass dir was anderes einfallen, als mich nass zu machen." meinte Dustin noch immer etwas brummig, auch wenn seine Wut längst verflogen war. Das ging bei ihm schnell. Typisch Veela eben. "Das ähm.. habe ich ehrlich gesagt noch nie ausprobiert." meinte Dustin und dachte über diese Frage nach. Figuren aus Holz schnitzen. Darin sah er keinen Sinn. Die Pfeile waren da, um zu töten. Oder eher gesagt um das Töten zu erleichtern, denn ohne Kniescheiben lief es sich nicht mehr so gut. Doch Figuren aus Holz? In wie fern sollten die einem nützen?

"Was würde dir denn gefallen?" Ich hoffte irgendwie, dass ich so etwas Besseres tun konnte und wirklich etwas Schönes erreichen würde. Immerhin hätte ich so einen Ansatz oder?
"Würdest du... mir vielleicht eine Figur schnitzen wollen? Du kannst doch so gut schnitzen und ich würde mich darüber jedenfalls freuen", entgegnete ich etwas leise, nunmal nicht wissend, ob er das nicht als total lächerlich empfand.

"Na da musst du dir schon selbst was einfallen lassen. Schließlich bist du es ja, der mich ablenken will." sagte Dustin und und pustete Späne von seinem Pfeil in spe. "Ich weiß nicht."meinte Dustin skeptisch. Anderen eine Freude machen. Darin lag also der Sinn. Wenn man es überhaupt Sinn nennen konnte. Immerhin hatte man davon nichts. Und die Freude der anderen war doch auch nur von kurzer Dauer, bis ihnen das Geschenk schließlich irgendwann egal wurde. "Was für eine Figur sollte das denn sein?" fragte er dann und dachte weiterhin darüber nach.

Kurz überlegte ich und hatte eine Idee. Dafür brauchte ich nur etwas Eis, was für mich kein Ding der Unmöglichkeit war. Ich ließ also einen sehr kleinen Eisblock erscheinen und modelierte an diesem herum. Ob er sich freuen würde?
"Ähm, es muss nichts Besonderes sein. Ein Tier oder irgendetwas in der Richtung. Etwas, was dir nicht allzu große Umstände bereitet", antwortete ich lächelnd. "Ich wäre schon froh, wenn du sowas für mich machen würdest. Mir macht eigentlich niemand irgendwas." Ich lachte etwas auf, damit es nicht so traurig wirkte. Ich wollte nicht, dass man sich zu sehr Sorgen um mich machte.

"Wundert mich nicht, dass niemand was für dich macht, wenn du jemanden aus dem Nichts heraus nass machst." meinte Dustin und beobachtete dann, wie Noah sich mit dem Eisblock beschäftigte. Er fragte sich kurz, ob es magisches Eis war, welches die Hitze problemlos überstehen würde. Dann beschloss er allerdings, dass es ihn nicht interessierte. "Ich habe noch nie Figuren geschnitzt." erklärte Dustin nochmal. "Also keine Ahnung, was ich hinkriegen könnte. 'Nen Schwanz vielleicht." meinte er und musste kurz auflachen. Ih, Lachen.

"Hey, du weißt genau, dass ich das gut gemeint hatte...", entgegnete ich leicht beleidigt und werkelte weiter. Nach kurzer Zeit schon, war erkennbar, was es wurde: Ein Panther aus glasklarem Eis.
"Hier, für dich. Ich hoffe, er gefällt dir. Und mach dir keinen Kopf darum, ob er schmilzt. Das wird erst passieren, wenn mein Herz nicht mehr schlagen sollte." Hoffentlich war das etwas, was ihn freute, wenn das mit dem Wasser schon in die Hose ging. Ich war so bemüht darin, ihn glücklich zu machen.
"Bitte was? Einen Schwanz?", entgegnete ich überrascht und lachte. "Du kommst mir ja auf Ideen!" Es war jedoch schön, ihn kurz lachen zu sehen. Eigentlich war ich immer froh, wenn er seine ernste Miene wenigst kurz verlor. "Ich lass mich mal überraschen", sagte ich dann aus dem Lachen heraus.

"Wow, das sieht gut aus." meinte Dustin, nahm den Panther entgegen und betrachtete ihn. Bemerkenswert detaillierte Arbeit. "Wie hast du das so schnell hinbekommen?" fragte Dustin erstaunt und war sichtlich beeindruckt. Der Junge hatte Talent. Vielleicht sollte er Bildhauer oder sowas werden. Oder Eishauer oder wie auch immer die Menschen hießen, die sowas taten. "Vielleicht solltest du dir besser selbst was schnitzen, wenn du das mit dem Eis schon so gut kannst." meinte Dustin und musterte Noah abermals.

"Oh, ähm, vielen Dank", entgegnete ich rotwerdend. Er schien sehr beeindruckt zu sein und das freute mich sehr. "Nun ja, als kleines Kind fragt man sich, was man alles mit Wasser- und Eismagie machen kann und dann kommt man darauf, sowas zu machen und hat irgendwann ein Gefühl dafür." Ich biss mir etwas verlegen auf die Unterlippe. "Ich würde mich aber viel mehr freuen, wenn es von dir käme." Meine Blicke blieben wieder bei ihm.

"Ich kann's aber nicht so gut wie du." meinte Dustin ohne aufzublicken und legte den Pfeil, welcher nun fast fertig war, zur Seite. Er musterte die Eisskulptur erneut. Sie würde erst schmelzen, wenn Noahs Herz aufhörte zu schlagen. Wie sich sowas wohl anstellen ließ? Von Magie solcher Art hatte Dustin keine Ahnung. Er kannte sich nur mit dunkler Magie aus und mit solcher, die man zum Leben brauchte. Was anderes hatte er nie benötigt. Darauf war er einfach nicht angewiesen, deshalb hatte er sich nie damit befasst. Doch er fand es bewunderswert, dass es sowas gab; auch wenn ihn die 'schönen Dinge des Lebens' weiterhin nicht sonderlich interessierten.

"Davon ab, dass ich das nicht glaube, geht es doch gar nicht darum, ob du es besser kannst oder nicht. Jedenfalls geht es mir nicht darum. Die Figur wäre etwas Besonderes, weil sie von dir kommt. Sie erhält sozusagen einen besonderen Wert", erwiderte ich und beobachtete, wie Dustin weiter die kleine Skulptur beäugte. Ein Lächeln huschte kurz über meine Lippen. Der Panther schien ihm ja wirklich zu gefallen. Hatte ich wohl doch noch etwas Schönes tun können.

Dustin verstand das einfach nicht. Aber es gab es auf, zu versuchen, solche Dinge nachvollziehen zu können. Er hatte es nie getan und war damit bisher auch ganz zufrieden gewesen. Also würde er es weiterhin so beibehalten. Dustin betrachtete sein Taschenmesser. Damit würde er wohl kaum eine vernünftige Schnitzerei hinbekommen. Um Pfeile zu schnitzen eignete es sich gut und es lag auch bequem in der Hand. Aber um eine richtige Figur zu schnitzen brauchte man wohl passenderes Werkzeug. Dieses Taschenmesser bedeutete im viel. Das hatte in Vancouver seinem ersten Opfer gestohlen. Sein erster Mord. Er erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. Er würde die Schnitzerei also dennoch mit seinem Messer anfertigen. Es war ihm egal, dass es dafür vielleicht nicht geeignet war. Dieses Messer sagte aus, wer er war. Was er war.