Der Königssaal

"Du hast Hunger." rutschte es mir heraus bevor ich darüber nachdenken konnte. Erschrocken über mich selbst schlug ich mir die Hände vor den Mund. Oh nein. Erst denken Nyla, dann reden.
Nicht nur das er vor mir saß und mich so an Thomas erinnerte und mein Herz zum schneller schlagen brachte, nein.
Jetzt hatte er auch noch Hunger...
Super...
Aber würde er meinen Geruch erkennen? Meinen Geschmack?
Ich war mir unsicher.
Damals hatte ich kein Blut gehabt und keinen Herzschlag, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Damals hatte ich noch herum experimentiert.
Also eher unwahrscheinlich.
Vielleicht würde es Erinnerungen in ihm wachrufen. Aber er würde es nicht direkt mit mir in Verbindung bringen...

"Was?!" brachte ich verwirrt heraus. Wie...ich war mir sicher, dass sich weder meine Augen schwarz verfärbt hatten, noch meine Zähne sich verlängert hatten. Mit misstrauischem Blick sah ich Nyla an und verschränkte die Augen.
Sie sah entsetzt über ihre Aussage aus...
"Woher glaubst du das zu wissen?" fragte ich.
Ihr Herz schlug immer noch schneller und ihr Duft erinnerte mich an jemanden...Wahrscheinlich irrte ich mich auch bloß.

Hör auf zu stottern du dummes Ding und sieh zu wie du das wieder in Ordnung bringst!
"M... m... mein... Mein Freund ist ein Vampir und da lernt man so was." brachte ich geistesgegenwärtig hervor.
Ich hatte die Möglichkeit zu warten bis es Essen und somit Blut gab und zu hoffen das er bis dahin keinen wehrlosen Schüler angefallen hatte oder ich gab ihm etwas von meinem Blut.
Meine Finger legten sich auf meine Halsschlagader an der zwei feine Narben waren.
Von meiner Verwandlung...
"Möchtest du etwas?" bot ich ihm leise an und strich meine Haare von meinem Hals.
Meine Haut war weich und zart, etwas was schon den ein oder anderen Vampir ins Verderben gelockt hatte, als er glaubte die unschuldige Jungfer beißen zu können ohne ihren Willen.

Mein Freund.
Und ich verlor fast schlagartig mein Interesse an ihr.
Sie hatte einen Freund, damit wäre das also geklärt. Ich war schließlich nicht gerade unmoralisch, was das anging.
Als sie mir ihr Blut anbot, grinste ich schief und schüttelte den Kopf. Es duftete herrlich verlockend, doch...
"Ich glaube, dass wäre keine so gute Idee." meinte ich und fuhr mir durch die Haare.
Trotzdem starrte ich auf ihren Hals, den sie von ihren Haaren freilegte. Meine Lippen presste ich aufeinander und zwang mich zur Seite zu sehen.

Ich hob die Augenbrauen und beugte mich ein wenig vor, um Taylor ins Gesicht zu sehen. Was sich wohl in seiner Vergangenheit zugetragen hatte, dass er so etwas sagte? Als er uns wieder ansah, lehnte ich mich nach hinten gegen die Tischkante und schaute meine Schwester kurz an.
Sicher dachte sie etwas ähnliches wie ich. Wahrscheinlich stand sie genauso zur Zukunft wie Taylor, im Gegensatz zu mir. Ich war im Leben schon so oft enttäuscht worden...mehr ging da nicht, also hoffte ich trotzdem. Nicht zu viel, aber auch nicht gerade wenig. Ich hoffte, dass wir es einmal Marie und Jonathan heimzahlen könnten, wenn wir sie für alles bezahlen lassen konnten, was sie uns angetan hatten. Mein Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Maske. Und dann würden wir irgendwo hin fliehen, wo uns keiner finden würde. Ich atmete einmal tief durch und sah wieder zu dem Ravenclaw. "Kann ich verstehen...", murmelte ich und fuhr den Rand der Tischplatte entlang.
Ich war froh, dass er nicht weiter darüber sprach. Ich war kein Tröster....ich konnte das einfach nicht, mit anderen mitleiden. Nur mit Lyna.

"Aber warum den nicht? Du hast Hunger und ich biete dir mein Blut an." sanft lächelte ich ihn an und rutschte etwas zu ihm.
Sein Hunger war ja fast greifbar.
Hätte ich gekonnt hätte ich ihn berührt. Aber das konnte ich nicht zulassen. Ich durfte ihn einfach nicht berühren. Es wäre mein und sein Untergang.
"Mich stört es nicht wenn du von mir trinkst." beteuerte ich ihm leise.
"Komm schon Stefan..." sein Name zerging regelrecht auf meinen Lippen.
Er hatte diesen sanften, lockenden Klang wenn ich ihn aussprach.
Etwas was ihn früher schon wahnsinnig gemacht hatte.
Wobei es mir andersrum nicht besser ging.

"Und was würde dein Freund dazu sagen?" fragte ich mit einem nicht gerade überzeugten Gesichtsausdruck. Auf Streitereien gleich zu Anfang eines neuen Schuljahres hatte ich keine wirkliche Lust.
Sie rúckte näher zu mir und beteurte, dass es sie mich stören würde, wenn ich von ihr trank.
Komm schon Stefan.
Die Art, wie sie meinen Namen sagte, brach meinen Widerstand. Genauso wie früher bei Nyla.
Ich beugte mich zu ihr vor und strich ihre Haare mit einer federleichten Bewegung hinter ihr Ohr.
Ihr Duft strömte mir entgegen und ich schluckte leicht, bevor ich meine Zähne vorsichtig in ihren Hals vergrub.
Sofort rann das flüssige Gold in meine Kehle und der Geschmack, gleichermaßen fruchtig, wie bitter blendete förmlich meine Geschmacksnerven.

Seine Berührung jagte Erinnerungen durch meinen Körper, Gedankenfetzen, die Zukunft, die Vergangenheit. Ich sank leicht gegen ihn und schloss meinen un wieder eisblauen Augen.
So viele Momente.
Dinge die ich nicht einordnen konnte. Situationen die mir bekannt vor kamen.
Und... Dinge die erst geschehen würden. Ich sah mich selbst. Das tat ich eher selten. Aber ich klammerte mich an ihn, weinte, er hielt mich fest, weinte ebenfalls, wir beide waren blut- und dreckverschmiert, es war düster, Rauch stieg von zerstörten Gebäuden auf.
Und dann war der Moment wieder vorbei.
Ich spürte seine Zähne, blieb aber ruhig. Ich hatte Dawn schon öfters von mir trinken lassen.
Es störte mich nicht.
Ich konnte nicht sterben.

Ich trank nicht viel, nur genug um meinen Durst gerade so zu stillen.
Doch das Gefühl, dass sich in meinen Brustkorb ausbreitete, als sie sich leicht an mich anlehnte, war fast schon zu schön. Ich zwang mich aufzuhören und leckte kurz über die Bissstellen, um die Blutung zu stillen.
Leicht lehnte mich zurück und wischte mir mit meinen Handrücken das Blut aus den Mundwinkeln. Es war schwierig gewesen aufzuhören, doch ich hatte es geschafft. Vorsatz eins keine Schüler des Blutdurstes wegen umzubringen, eingehalten. Super.

Leicht zitternd versuchte ich mich wieder auf zu richten, aber die Vorhersagen waren zu heftig gewesen. Erschöpft blieb ich an ihn gelehnt sitzen und versteckte mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Ich hatte meinen Blutdurst gut genug unter Kontrolle um nichts unüberlegtes zu tun.
Auch wenn es mir schwer fiel.
"Ich hab keinen festen Freund falls du das meintest." brachte ich dann geschwächt hervor. "Ich meinte EINEN Freund, nicht meinen."
Auch wenn ich geschwächt war, wäre ich immer noch stark genug ihn zu töten bevor er mir auch nur ein Haar krümmen konnte.
Ich hatte mit den Jahren gelernt auch wärend meiner Visionen so flucht und kampfbereit zu sein wie bei vollem Bewusstsein.

Ich bemerkte besorgt, wie Nyla zitterte. Hoffentlich litt sie nicht an so etwas, wie Anämie oder dergleichen. Jedenfalls war ich mir sicher nicht so viel getrunken zu haben, dass sie nun so geschwächt war.
"Achso. Ein, nicht dein Freund." Hieß sie war wahrscheinlich Single. Instinktiv legte ich einen Arm um ihre Schulter und hielt sie fest.
Noch immer fand ich es merkwürdig, dass sie so geschwächt war.
"Alles in Ordnung?" fragte ich daraufhin.

"J... Ja... alles gut, das geht gleich wieder." ich atmete tief durch und zwang mich, mich auf zu setzen. Auch wenn seine Arme mir gerade etwas Halt gewährten.
Nein.
Ich war schon stark genug.
Tapfer lächelte ich ihn an. Den Blick immer noch niedergeschlagen. Ich durfte nicht riskieren das er meine Augen erkannte.
Den das war nicht schwer.
So ein durchdringendes, eisiges Blau sah man selten.
Es konnte so kalt wie der Nordpol sein, so tief wie der Ozean oder strahlend wie ein Sommerhimmel.

Ich ließ den Arm wieder fallen. Es war manchmal zu leicht bei ihr, das Gefühl zu haben, sie schon seit Ewigkeiten zu kennen.
"Sicher?" fragte ich dennoch besorgt und schob meine Augenbrauen zusammen.
Sie lächelte, doch ihr Blick war wieder auf den Boden gerichtet und kurz fragte ich mich wieder warum.
Ich musterte sie, hoffte, dass sie jetzt nicht irgendwie in Ohnmacht fiel.

"Ja, ganz sicher, mach dir nicht immer so viele Sorgen um mich."
Nein verdammt, nicht immer, er kannte mich ja offiziell erst seit gerade eben. Oh man ich sollte still bleiben. Am liebsten hätte ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen lassen.
Dummes Nyla!
Trotzdem hob ich vorsichtig den Blick und lächelte ihn lieb an.
Immer schön lächeln.
Redete ich mir ein. Hoffentlich würde Elijah bald das Essen eröffnen.
Nicht das ich mich noch verriet.
Durch irgendeine Unaufmerksamkeit meinerseits.

"Immer?" Ich hob eine Augenbraue und sah sie wieder mit einer Mischung aus Skepsis, Verwirrung und Missmut an.
Ich kam zu den Schluss, dass Nyla vielleicht einfach ein wenig schräg war. Auf positiver Art und Weise.
Aber..nur sicherheitshalber:
"Wir haben uns aber nicht schon einmal getroffen, oder?" Bei den vielen Mädchen, die ich in letzten Jahren gehabt hatte, würde es mich nicht wundern, andererseits...
Ich fuhr mir wieder durch die Haare. Das war alles so verwirrend, warum konnte es nicht mal einfach sein?
Sie lächelte lieb und ich musste wieder grinsen.

"Nein, wir haben uns noch nie gesehen." wie immer wenn ich log und gerade mal menschlich war schaffte ich es nicht ihm in die Augen zu sehen.
Ich schämte mich ein wenig in anlügen zu müssen.
Aber es ging nicht anders, ich würde mich nur verraten.
Ich biss mir leicht auf die Unterlippe und starrte auf meine Fingernägel.
An meinen Fingern waren immer noch einige Ringe.
Ein Ring war ein Siegelring, nicht der meiner Familie, sondern einer meiner Liebschaften. NT ineinander verschlungen.
Nyla & Thomas.
Ich seufzte innerlich und jetzt saß ich hier mit seinem Sohn und kam nicht von dem Gedanken los wie ähnlich sich die beiden doch waren.
So Beschützermäßig und... ich weiß nicht... einfach... ich fühlte mich einfach sicherer.

Ich nickte. Ehrlich gesagt wurde ich aus ihrem Verhalten nicht wirklich schlau. Mal war sie sie sich sicher und sah mich an und dann wieder wurde sie nervös und wirkte unsicher. Ich verstand es nicht wirklich. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich mich als eindeutig männliche Person nicht in die Abgründe bewegen konnte, die Mädchen anscheinend zu gern besuchten. Zweihundersiebzig und ein paar zerquetschte Jahre lebte ich nun auf diesem Planeten und das Phänomen Frau blieb mir nach wie vor ein unergründliches Mysterium.
Sie starrte immer noch nach unten und ich seufzte leise auf, als mein Blick an einem ihrer Ringe hängen blieb.
Ein "N" und ein "T".
Ich runzelte die Stirn. Wofür das "T" wohl stand?

Kurz strichen meine Finger darüber. Für ein paar Sekunden sah ich einen kleinen lachenden Jungen vor mir. Große blaue Augen, verwuschelte dunkle Haare. Ein fröhliches naives Lachen auf den Lippen.
Das "T" hatte zweierlei Bedeutung für mich.
Nicht nur Thomas... nein... mein kleiner süßer Engel. Tom. Mein Schatz, mein Heiligtum. Was hat diese grausame Welt dir nur angetan.
Eine Schande von einer Mutter dich nicht besser retten zu können als so.
Ich war wirklich eine grausame Mutter, mit vor schmerzzerissenem Blick sah ich zu Anna. Natürlich hatte ich sie entdeckt. Wie könnte eine Mutter ihre Tochter nicht erkennen?
Wenigstens ihr schien es gut zu gehen.

[bin kurz Kaffeetrinken. 9

Ich beobachtete sie. Nyla schien mittlerweile in Betrachtung ihres Ringes komplett in Gedanken versunken zu sein.
Kurz sah sie auf, doch ich folgte ihren Blick nicht, sondern richtete meinen Blick wieder kurz auf ihren Ring.
"Wofür steht das "T"?" fragte ich leise.

Als ich seine Stimme hörte zuckte ich leicht zusammen und sah dann überrascht auf. Ihn hatte ich ja fast vergessen.
Traurig lächelte ich.
"Für Tom... meinen Sohn..." erklärte ich ihm leise die halbe Wahrheit.
Mein kleiner Engel.
"Es... ist keine schöne Geschichte."
Erneut seufzte ich und sah dann lächelnd zu ihm auf.
"Aber das Schicksal ist nun mal eine Hure."

"Du musst sie mir auch nicht erzählen." sagte ich leise,als sie erklärte, es sei keine schöne Geschichte.
Nyla hatte also einen Sohn...gehabt.
Ich lächelte leicht mitfühlsam.
"Ja. Das kenne ich nur zu gut." seufzte ich und fuhr mir durch die Haare.

"Hattest du auch ein Kind?" fragte ich ihn leise und sofort flammte eine Art... Eifersucht... in mir auf.
Wieso war ich eifersüchtig?
Dazu hatte ich kein Recht. Ich hatte ihn abgewiesen, er konnte tun und lassen was er wollte.
Trotzdem wiederstrebte mir der Gedanke das er eine andere Frau geliebt hatte außer mich.

"Nein. Aber zu mir war das Schicksal auch nicht gerade freundlich. Lange Geschichte." meinte ich kurz angebunden.
Der Gedanke jemals eine Familie zu gründen, hatte sich in Luft aufgelöst. Ich liebte nur Nyla. Und daran hatte sich die ganzen Jahre über hinweg nichts geändert.
Und so, wie es aussah, würde sich auch so schnell nichts ändern.

"Oh tut mir Leid."
Nein tats mir nicht. Oh man ich war ein schlechter Mensch. Aber innerlich konnte ich gerade nur aufatmen. Es gab niemand...
"Willst du darüber reden?" ich legte leicht den Kopf schief und lächelte ihn freundlich an.
Wieder eine so typische Geste.
Ich kannte die Geschichte zwar schon aber nur aus meiner Sicht...